Einer der letzten schönen Herbsttage nutze ich für eine Wanderung im Kanton Aargau. Schon lange schwirrt mir der kurze und knackige Aufstieg über den Ostgrat auf die Wasserflue durch den Kopf. Dies soll vom Schwierigkeitsgrad her eine T5-Wanderung werden. Zug und Bus bringen mich nach Küttigen. Von der Haltestelle Fischbach aus brauche ich nur wenig Strecke auf dem Feldweg zurückzulegen, bevor es beim Bächlein rechts in den Wald hinein geht. Dieser Pfad ist kein offizieller Wanderweg, daher habe ich mir die Informationen über verschiedene Tourenberichte im Internet zusammengesucht. Ich finde schnell die blauen Markierungen an den Bäumen, und die Orientierung fällt mir leicht.
Ich gehe dennoch vorsichtig entlang dem Ostgrat hoch. Erst noch am Vortag hat es letztmals geregnet, und der Waldboden ist noch feucht und teilweise rutschig. Das warme Sonnenlicht durchdringt den schon lichter gewordenen Herbstwald. Ich folge dem schmalen und gut erkennbaren Trampelpfad weiter aufwärts.
Schon kurze Zeit später sehe ich das erste Sicherungsseil. Ein Schild weist auf den neu angelegten «Klettersteig» hin. Auf den ersten Blick ist das für mein Empfinden kein richtiger Klettersteig, da die Sicherungsabstände viel zu gross sind. Es ist eher ein seilgesicherter Aufstieg in unwegsamem, mit Felsblöcken versetzten Gelände. Einige sagen, durch die neu angelegten Seile sei es kein T5 mehr. Das hat was. Nach dem ersten Seilaufschwung blicke ich nach links und rechts, finde allerdings keine anderen Markierungen. Gemäss meinen recherchierten Informationen müsste der Originalaufstieg nun leicht links des «Klettersteigs» hochführen. Ich entscheide mich nach kurzem Suchen nach einem alternativen Pfad für die nach wie vor gesicherte Route. Die Kletterstellen bleiben, und es gibt doch den einen oder anderen grösseren Felsblock, der etwas Klettertechnik erfordert. Hin und wieder bin ich tatsächlich froh um die Stahlseile, an denen ich mich festhalten oder hochziehen kann. Denn einige Male entpuppt sich ein anvisierter «Halte-Felszahn» als zu locker sitzend. Ich frage mich immer wieder beim herumschauen, wo wohl die Originalroute verläuft. Rein vom Gelände her gibt es kaum Optionen. Doch ich entdecke nach wie vor keine anderen Markierungen. Vermutlich bin ich gar nicht so viel daneben. Vielleicht hatte es bis letztes Jahr einfach keine resp. weniger montierte Seile. Die Aussicht zwischen den noch belaubten Bäumen hindurch zum Benkerjoch gefällt mir. Und das Klettern macht Spass. Da ich erneut alleine unterwegs bin, bleibe ich vorsichtig. Es geht stellenweise doch gut steil hinauf respektive hinunter. Und ich bin hier wirklich alleine.
Es folgt der Schlussanstieg durch den sogenannten Kamin. Auch hier sind jetzt Seile montiert. Ich klettere die letzten Meter hoch und durchschreite das Gebüsch vor der Abschrankung des Wasserflue-Gipfels. Verwunderte Blicke treffen mich. Jaja, da kann man hochklettern. Ich freue mich, diesen anspruchsvolleren Pfad gemeistert zu haben, bin gleichzeitig aber noch immer irritiert, ob es nicht doch noch eine leicht versetzte Aufstiegsvariante gegeben hätte. Nun ja, es gibt einen Schluck Gipfeltee, während ich den Rundumblick geniesse.
Nach kurz und knackig geht’s jetzt in die Verlängerung. Ich wandere auf dem Gratweg über die Eggholde weiter bis Punkt 761, wo ich abzweige in Richtung Erlinsbach Hard. Mein nächstes Ziel ist nämlich das Hardmännliloch. Ich hatte mir diese Höhle grösser vorgestellt. Dennoch gefallen mir die dort platzierten Plüschtiere und farbigen Steinmännchen. Kurze Zeit später raste ich auf der Ramsflue, wo ich die warmen Sonnenstrahlen geniesse.
Der offizielle Wanderweg führt mich bis zum Wegpunkt 710, wo ich erneut einem schmalen Pfad durch den Wald folge. Hier wachsen auffallend viele Stechpalmen. Ein Paar mit Hund warnt mich vor einem «Blitzer». Was, Geschwindigkeitskontrolle mitten im Wald?! Nein, es wird wohl Wild gezählt oder nach einer bestimmten Spezies gesucht, die per Fotofalle festgehalten werden sollen. Nun, der Jäger hat wohl nicht mit Homo Sapiens gerechnet, aber Tschagga, ich werde fotografisch festgehalten.
Über die offene Weidefläche Säägel marschiere ich bis zum nächsten Waldrand. Denn ich will über den nächsten Grat, der Egg. Jetzt kommt etwas «Lägern»-Feeling auf. Mein Mund ist vor lauter Begeisterung wohl mehr offen als zu. Dieser Grat gefällt mir ausserordentlich gut. Und herrje, beinahe tappe ich in den nächsten «Blitzer». Ich sehe ein kleines Schild, auf dem wohl beschrieben ist, wozu die Wildkontrolle durchgeführt wird. Um nicht noch ein Fehlalarm-Foto auszulösen, umgehe ich die Stelle. Der Grat bleibt phänomenal schön. Die Vielfalt der Bäume begeistert mich. Ihr Wuchs ist teils kunstvoll geschwungen und verdreht. Die Sonne wirft interessante Lichtspektren in das herbstlich gefärbte Geäst.
Am Ende des Hügelzugs angekommen gelange ich wieder auf einen regulären Feldweg, der mich zum kantonsgeteilten Erlinsbach (SO/AG) zur Bushaltestelle bringt. Perfektes Timing, denn zwei Minuten später fährt der Chauffeur los.
Zufrieden genehmige ich mir am Bahnhof von Aarau noch einen Kaffee und trete die Heimreise an. Ob der Wasserflue Ostgrat vom Schwierigkeitsgrad her nun ein T5, T5- oder nur noch ein T4/T4+ ist, ist mir inzwischen egal. Es war für mich ein bleibendes Erlebnis.