Endlich Ferien und für vier Tage idealstes Wanderwetter. Los geht’s nach Thun, wo ich mich in einem Landgasthof einquartiere.
In diesen Tagen soll mich der Weg zwei Mal auf das Niederhorn führen. Zum einen von Merligen aus über das Justistal und via Bärenpfad zum Niederhorn und über Oberburgfeld/ Häliloch/ Underburgfeld/ Känzeli nach Beatenberg. An einem weiteren Tag gemütlich mit der Bahn zum Gipfel und über Burgfeldstand und Gemmenalphorn hinunter ins Justistal zum Hinterberg und von hier über die Sichle nach Innereriz. Beides erlebnisreiche Tage mit Tierbegegnungen und trotz stellenweiser „Wanderautobahn“ landschaftlich äusserst eindrucksvoll.
Die ersten 90 Minuten ab Merligen bis Grön sind langweilig. Ein regulärer Kiesweg führt durch den Mischwald hoch. Dann folgt gar noch ein asphaltierter Abschnitt, ich glaub’s fast nicht… Tja, ich freue mich auf den steilen Bärenpfad. Gute 700 Höhenmeter, die jetzt im Herbst auf der Schattenseite des Niederhorns liegen und kürzlich hat’s noch geschneit. Trotz Nässe und Kühle möchte ich diesen anspruchsvollen Pfad begehen und finde auch den nicht markierten Einstieg. Besser so, denn der Pfad ist echt nicht für alle. Anfangs geht’s noch easy peasy durch den Wald, dann folgt ein Abschnitt über Blockfels und Geröll. Hm, irgendwann mal von oben schwungvoll heruntergepurzelt, so bergsturzmässig. Kurz danach stehe ich vor der ersten Leiter, die auch die längste aller installierten Leitern ist. Mein Herz hüpft mal wieder vor Freude und auch, da ich weit und breit alleine unterwegs bin. Der Untergrund ist generell rutschig und teilweise liegt Schnee. Vorsichtig gewählte Schritte bringen mich über all diese heiklen Stellen. Auf der Höhe des „Gipfelbuches“ sehe ich eine etwas grössere Felsplatte, ein super Aussichtspunkt über das Justistal. Dieser Ansicht bin wohl nicht nur ich, so vollgeschissen ist der Boden. Allerdings sehe ich beim Aufstieg noch kein Steinwild.
„Im Justistal dert zwüsch de Flüehene, dert möchte i sy, dert möchti gah,
u bi myne liebe Chüehne zur Churzwyl nones bitzli stah.“
Nach kurzem Kaffeestopp beim Niederhorn selbst kehre ich zurück und begegne vor der Abzweigung zum Oberburgfeld zwei Steingeissen mit Jungem. Gemütlich grasen sie um einen kleinen See. Wusstest du, dass sie Wiederkäuer sind? Ich spreche einen Herrn an, der einen Fotoapparat mit riesigem Objektiv mitträgt. Er habe noch Alpenschneehühner gesichtet, berichtet er.
Im Abstieg enttäuscht mich das Häliloch, nicht weil es kein spannender Felsabbruch / Höhle ist, nein, man kann nicht hin – so blöd. Nachdem ich noch ein paar wenigen Wandernden begegnet bin, bin ich in Richtung Underburgfeld wieder alleine. Genüsslich steife ich durch Nadelwald, über moorige Flächen und Weiden. Beim Känzeli wird’s nochmals eindrücklich. Steile Felsen und schöner Ausblick auf Beatenberg. Kurz vor dem Dorf sehe ich zwei mächtige Schutznetze. Das aktuell kaum sichtbare Bächlein kann sich hier wohl zu einem reissenden Monster verwandeln. Dann möchte ich allerdings nicht hier sein. Auch wenn das Grobe vom robusten Stahlnetz aufgefangen wird, die Wassermenge donnert dennoch hindurch.
Drei Tage darauf bin ich nochmals auf dem Niederhorn. Kurz noch einen Espresso trinken und schnell flüchten vor den Turnschüeli-Tagestouristen und der lärmenden Schulklasse. Der Wanderweg über den Güggisgrat zum Burgfeldstand und Gemmenalphorn bietet immer wieder spektakuläre Tiefblicke in den steilen Abbruch zum Justistal und hinüber zum Sigriswiler Rothorn. Rechterhand das einen umhauende Panorama der grossen Berner Gipfel. Alle tragen schon weisse Hüte – einige davon natürlich ganzjährig. Während dem Gehen höre ich heute wieder die Hirsche röhren. Zu Gesicht bekomme ich jedoch zig Steinböcke und -geissen mit Jungtieren. Sie sind sich die Menschen gewohnt und lassen einen bis auf ein paar Meter herankommen. Wie ich diese Tiere bewundere! Kraftvolle, imposante Schönheiten mit grossen, feinen Augen – die Könige der Berge eben.
Beim Wegpunkt 1862 zweigt die Route 342, der Niederhorn Panoramaweg, ab. Ich verabschiede mich hier über Loubenegg zum Oberberg und yep, wieder bin ich alleine unterwegs und geniesse die wunderbare Herbstlandschaft. Meine Fantasie wird durch diverse Baum- und Felsformen sowie mit Moos und sonstigen Pflanzen bewachsenen Steine und Hügel beflügelt – märchenhaft schön. Auch allerlei Pilzmännchen mit ihren braunroten Hüten blinzeln zwischen Gras- und Astwerk hervor. Beim Restaurant Hinterberg überlege ich kurz, einzukehren, gehe aber weiter, nun wieder bergauf. Waren mir schon wieder zu viele laute Menschen… Jetzt geht’s zur Sichle, und es hat sich schon lange gezeigt, weshalb diese Stelle so heisst. Sie sieht tatsächlich wie eine schön geschwungene Sichel aus und wiegelt zwischen dem Burst und den Sibe Hängste. Ist ganz schön windig auf der Kuppe.
Im schon späteren Nachmittag ziehe ich nun zügig weiter ins Eriztal. Der Weg ab Sichle ist anfangs noch schmal und stellenweise geröllig, doch bald geht’s gemütlich über Alpweiden und guten Feldwegen bis hinunter zur hintersten Bushaltestelle im Tal.