Noch einmal durch den Alpstein streifen, bevor eines meiner Lieblingswandergebiete wintersicher gemacht wird und Schnee fällt. Einmal mehr ist Wildhaus mein Ausgangspunkt. Diesmal fahre ich mit der einzigen, mit reiner Solar- und Windenergie betriebenen Bergbahn der Schweiz. Hoch geht’s in gemächlichem Tempo bis Gamplüt.
Meine Wanderung beginnt in Richtung Fros. Bei der Verzweigung Punkt 1389 beginnt mein eigentliches Abenteuer in weiss-blau-weiss. Wie lange schon stand der Nädliger-Grat auf meiner Wunschliste! Meine Vorfreude ist gross. Die Sonne bestrahlt die Felswände, und ich gehe bei angenehmen Herbsttemperaturen bergauf bis zur ersten Alphütte. Die Umgebung im Kessel des Wildhuser Schofbode wird steiniger. Mir gefällts ausserordentlich gut hier. So im Geröllkessel zu stehen und von imposanten Felszacken umgeben zu sein, löst Gänsehaut aus. Hin und wieder poltern in der Ferne ein paar lose Steine hinunter. Ich kann jedoch kein Steinwild oder Menschen ausmachen, die dort, wo das Geräusch herkommt, unterwegs sein könnten.
Ich nähere mich einem Felsband, wo erstmals auch die Hände zum Einsatz kommen. Das Kraxeln mach einfach Spass. Im Ober Wildhuser Schofbode, bei der Wegverzweigung im zum Wildhuser Schofberg und Jöchli, mache ich eine kurze Pause und geniesse die Sonne. Als ein Paar mit Hund realisiert, dass mir ihr Vierbeiner überhaupt nichts ausmacht, lassen sie ihn zu mir rennen. So holt sich der Rüde seine Streicheleinheiten ab, bevor er mit seinen Liebsten weiterzieht. Der letzte Anstieg auf den Jöchlisattel ist mit losem Geröll und grösseren Felsbrocken versehen. Plötzlich poltert es, und jemand ruft: «Achtung Stein!» Ich habe Glück, und das graue Geschütz kracht etwa drei Meter neben mir ins Tal. Kurz darauf verstehe ich, weshalb dies überhaupt passieren konnte. Das Paar, das vor mir emporstieg, wählte statt dem markierten Pfad eine Abkürzung über einen Abschnitt mit grösseren, eher losen Steinen. Nun, ging ja noch einmal gut.
Auf dem Jöchlisattel öffnet sich der Blick auf den Nädliger-Grat, Altmannsattel, den Altmann selbst und weiter bis ins Rheintal, das heute komplett unter einer Nebeldecke liegt. Eindrücklich füllt das weisse Nebelmeer jede Ritze. Doch hier oben – strahlender Sonnenschein. Der Weg wird interessant, rauf- und runtersteigen, teils über Felsblöcke… das mag ich. Und ich will schon weitergehen, da sehe linkerhand ein paar Steinböcke. Ich nähere mich den Tieren, die mich und andere Wandernde genaustens beobachten. «Hey, ihr Zweibeiner, einfach etwas Abstand halten, gell!» Ein Jungbock will sich mit einem Senior anlegen, doch seine Absicht ist eher spielerischer Art als ein ernst gemeinter Rangkampf.
Nach ein paar Steinbock-Fotos geht’s jetzt wirklich zum Nädliger-Grat. Der ist stellenweise eng und einseitig ausgesetzt. Durch die gute Markierung lässt sich die Wegführung einfach nachvollziehen. Das Kraxeln darf nochmals praktiziert werden. Nördlich fällt der Grat steil ab zum Fliser Schofbode. Der Altmann rückt näher, und der Blick auf den Lisengrat und den Säntis begeistert mich. All diese schroffen Felsen, herrlich!
Beim Fliskopf zweige ich südöstlich ab in Richtung Zwinglipass. Nach zig Höhenmetern hinauf geht’s jetzt wieder talwärts. Das Gehen wird angenehmer, ist es ab jetzt wieder ein rot-weiss-rot markierter Bergweg. Er führt ein Stück um den Altmann, an dessen Südwand ich ein Felsengesicht entdecke. Schaust etwas grimmig, lieber alter Mann. Auf dem Weg zeigt sich wieder mehr Karst, der sich im Alpstein immer gut in Szene setzt und auflockernde Kontrast bietet.
Bei der Zwinglipass-Hütte gönne ich mir einen sauren Most. Schliesslich wandere ich über den Hundsbüchel weiter, bis ich über den im Zickzack verlaufenden und immer besser begehbaren Wanderweg bei der Alp Tesel ankomme. Ich geniesse das im Abendlicht leuchtende Tal besonders, da mir der Anblick der umliegenden Bergketten im Herbst 2023 durch dichten Nebel verwehrt war. Kurz darauf stehe ich wieder vor dem Wanderwegweiser bei Punkt 1389, wo ich heute Morgen gestartet bin.
Nun ziehen doch leichte Nebelschwaden auf. Bis ich jedoch so richtig im Flüretobel bin und weiter absteige, ist die Nebelsuppe zäh und dicht. Wie schon vor einem Jahr stapfe ich also im Nebel durch dieses wilde Tobel. Ich zweige ab in Richtung Wildhaus und gelange via Hinder Baholz schliesslich über eine Wiese und den weiter gut angelegten Wanderweg zum Parkplatz Egg. Ich schaue nach der nächsten Busverbindung und hoppla, da fährt einer in 10 Minuten. Ich spute mich durch den mittlerweile noch dicker gewordenen Nebel und erreiche das gelbe Postauto zwei Minuten vor Abfahrt. Gerade noch rechtzeitig kann ich mein Billett lösen. Nebelnasse Haare, ein leichtes Frösteln trotz dem Endspurt, gemischt mit einem zufriedenen Lächeln und innerer Glückseligkeit lasse ich mich nach Wattwil bringen. Ab hier geht’s mit dem Zug weiter heimwärts.