Enttäuschung im Alpstein – wie bitte? Ganz im Gegenteil! Eine Wanderung im Alpstein ist immer ein unvergessliches Erlebnis und bringt mich emotional oft an die Tränengrenze. Dieses voralpine Kalksteinmassiv mit den tektonischen Faltungen hinterlässt bei mir immer und immer wieder tiefgreifende Begeisterungsschübe. Hei nomol, wie schön ist es denn hier!
Ich beginne meine Tour am östlichen Kamm und gondle erstmal gemütlich auf die Ebenalp. Im Herbst ist es immer ein besonders genüssliches Schauspiel, aus der dicken Nebelsuppe ins sonnige Gefilde hinaufzukommen. Der Übergang vom Nebel in die Sonne ist auch heute mystisch. Was unten noch grau und grässlich aussah, wirkt von oben wie eine weiche Decke aus Watte. Der Nebel liegt in den Tälern und formt eine Schlange – nicht die Maloja-Schlange, sondern die Alpstein-Schlange 😉
Via dem Wildkirchli gehe ich zum berühmten, an steilen Felswänden klebenden Berggasthaus Aescher. Nebelschwaden ziehen auf und gehen. Ich geniesse diese magische Stimmung und denke wohl zum x-ten Mal: Irgendwann werde ich hier übernachten.
Ich wähle jetzt einen Pfad, der fast nur von Kletterern benutzt wird. Tatsächlich erklimmen einige bereits die verschiedenen Kletterrouten. Entlang der steilen Felswände nähere ich mich Chlus. Hier mündet der Pfad wieder in den belebteren Hauptwanderweg in Richtung Schäfler. Auch in diesem Berggasthaus wollte ich schon übernachten, denn nur ein paar Schritte entfernt öffnet sich der Blick auf die imposanten Altenalptürme. Und diesen Anblick liebe ich so was! Ein Glücksgefühl durchströmt mich, während ich mich niederlasse, einen kleinen Snack geniesse und auf die zackige Gebirgskette blicke. Es gibt einige Stellen im Alpstein, an denen ich Liebeserklärung ausspreche – das ist eine davon. Schliesslich ziehe ich weiter. Der schmale Wanderweg führt in die Richtung der Altenalptürme. Ich zweige dann in Richtung des Berggasthauses Mesmer ab. Der Nebel lichtete sich etwas, gibt den Seealpsee jedoch noch nicht frei. Etwas oberhalb des Restaurants raste ich und picknicke. Dies interessiert die Bergdohlen besonders, und ich gebe ihnen etwas von meinem Proviant ab. Als ich den Platz verlasse, sind sie schnurstracks da und suchen nach restlichen Krümeln. Den Weg bis hierhin kannte ich von einer früheren Wanderung.
Da ich heute ein neues Gebiet erkunden will, mache ich im Mesmer keine Einkehr. Gespannt nehme ich die ersten Schritte ins geröllige Tal der Fehlalp. Schon eine gefühlte Ewigkeit wollte ich vom Mesmer über die Wagenlücke zum Säntis wandern. Weshalb? Weil ich vor vielen Jahren immer mal wieder in umgekehrter Richtung mit den Skiern hier unterwegs war. Die Säntisabfahrten habe ich in guter Erinnerung, und ich wollte schon so lange einmal den Unterschied vom Winter zur schneefreien Zeit sehen. Und ich bin beeindruckt. Auch wenn es schon Jahre her ist, erinnere ich mich, wie viel Schnee in diesem Tal lag. Anhand der Felsen kann ich es in etwa einschätzen. So erstaunt mich doch Einiges nicht mehr, was die Schneemassen betrifft. Ich begehe mit einer gewissen Demut diesen Wegabschnitt, führt er stellenweise doch an steilen Felsen vorbei. Dann geht’s hoch zur Wagenlücke. Und ja, dieser Hang ist auch ohne Schnee steil. Im Herbst liegt die Fehlalp im Schatten. So freue ich mich, beim Felszahn der Wagenlücke wieder Sonne zu sehen. Die Wärme tut gut. Auch ein paar letzte Alpenblumen erfreuen sich der Sonnenstrahlen und wiegeln sich im Wind. Ein Schild erinnert an die einst geplante Zahnradbahn. Ich setze mich und geniesse den Ausblick von hier. Mir kommen weitere Episoden von den früheren Säntisabfahrten in den Sinn. Ich schmunzle und verknüpfe die früheren Erlebnisse mit den heutigen. Mein schon langes gewünschtes Gesamtbild nimmt heute weiter Gestalt an.
Nach dieser Pause ziehe ich weiter. Die letzten knapp 500 Höhenmeter durch karstiger werdende Landschaft machen mir zu schaffen. Ich werde langsamer. Macht nichts, so entdecke ich im Gestein immer wieder spannende Überbleibsel des einstigen Meeresbodens. Muscheln und schneckenartige Versteinerungen verzieren das Gestein. Immer wieder blicke ich zur Wagenlücke zurück und versuche, all die früheren Winterbilder in meinem Gehirn zu reaktivieren. Ja, hier fuhr ich mehrmals mit den Skiern hinunter. An alle damaligen Begleitenden sende ich in Gedanken einen lieben Gruss. Es war stets lässig mit euch.
Ich nähere mich dem Berggasthaus Alter Säntis. Die Sonne schickt sich an, unterzugehen. Ich geniesse vor der Fahrt mit der Schwebebahn noch einen wärmenden Kaffee. Es war doch ein ziemlich windiger Tag, der mich vor allem in schattigen Wegabschnitten trotz Bewegung auskühlen liess. Nach einem letzten Rundumblick nach insgesamt 1’500 Höhenmetern aufwärts und 600 abwärts verabschiede ich mich vom Säntis. Leb wohl und bis zum nächsten Mal – Säntis, der Berg.