Herbst bedeutet Ruska-Aika oder kurz Ruska in Lappland. Dieses Naturphänomen ist in anderen Teilen der Welt als Indian Summer bekannt. Da viele Finnen naturverbunden sind, ist diese Zeit für sie und auch die vielen Touristen ein Jahreshöhepunkt. Die Farbexplosion von goldgelb, orange, braun und rot hat bei meiner zweiten Reise nach Finnland bereits begonnen, stand jedoch noch nicht in voller Pracht.
Als Wanderleiterin für die Imbach Reisen AG bin ich für zehn Tage in Finnland unterwegs. Die Reise mit zehn Teilnehmenden startete in Helsinki und führte danach in die Landesmitte nach Ruka. Von hier aus erreichten wir nach einer längeren Busfahrt das nördliche Lappland, wo wir wieder im stilvollen Hotel am Juutuanjoki gelegen untergebracht sind. Die kürzere der beiden Wanderungen in diesem Gebiet führt zum Pielpajärvi.
Der Tag beginnt mit einer Bootsfahrt auf dem Inarijärvi. Es ist der drittgrösste See in Finnland (doppelt so gross wie der Bodensee) und liegt nördlich des Polarkreises. Mit nur knapp 100 Metern Tiefe weist der See jedoch über 3’000 Inseln auf. Zwei davon haben für die samische Bevölkerung eine besondere Bedeutung. Die Insel Ukonsaari ist als Friedhofsinsel bekannt und ist für die Samen ein sakraler Ort. Der Ukonkivi – der Stein des Ukko – war eine Opferstätte, wo die Hauptgottheit des Himmels, des Wetters und des Gewitters verehrt wurde. Hier fanden wichtige Rituale statt. Trotz der Christianisierung behielten die Samen ihre Traditionen. Dieser kulturell und spirituell bedeutsame Ort darf heute nicht mehr betreten werden.
Das Kleinboot setzt uns am Steg und Rastplatz Pielpavuono ab. Unser Wanderweg schlängelt sich durch den bunten Herbstwald. Die Blätter leuchten in der Sonne. Wir kommen an zahlreichen kleineren Seen vorbei. Durch die Windstille spiegelt sich die umliegende Landschaft im Wasser – welche Augenweide. Bei jeder Wegbiegung zeigt sich ein weiteres gespiegeltes Schmuckstück in Form von Wasser, Wald und niedriger Flora. Die Böden sind zu dieser Jahreszeit eher in Gelb- und Brauntönen gehalten, die Seen leuchten teils tief blau. Die dunkelgrünen Tannen und die Birken mit ihrem gelben Laub ergeben ein fantastisches Naturschauspiel.
Wir gelangen rasch zum Rastplatz bei der Wildniskirche Pielpajärvi. Die 1752 bis 1760 erbaute Holzkirche gehört zu den ältesten Gebäuden Nordlapplands. Früher wurde sie regelmässig genutzt, und es gab sogar Kirchenstuben zur Unterbringung von angereisten Gläubigen. Heutzutage wird die Kirche nur noch für spezielle Anlässe öffentlich genutzt. Die Türen stehen jedoch für Besucher das ganze Jahr über offen. Ich trage mich im Namen des Reiseveranstalters und der Gruppe ins Gästebuch ein.
In kurzer Distanz zur Kirche finden Wanderlustige eine gut eingerichtete Schutzhütte mit Grillplatz. Hier bräteln wir uns nochmals Würste und Grillkäse zum Mittagessen. Die Stimmung in der Gruppe ist prima. Alle freuen sich über diesen perfekten Abschlusstag in herrlicher Naturkulisse. Die Farben leuchten intensiv und wir atmen die herbstlichen Düfte der Umgebung ein. Bald schon nehmen wir die letzten Wanderkilometer unter die Füsse. Nochmals ertönen diverse Ah’s, Oh’s und So Schön’s aus den Mündern der Teilnehmenden.
Unser Busfahrer holt uns am Endpunkt der Wanderung ab und bringt uns ins Museum Siida, wo die Kultur und Geschichte der Samen und die Natur der Region äusserst attraktiv präsentiert werden. Die grosszügigen Innenräume mit ansprechenden Displays werden durch einen Aussenbereich ergänzt. In diesem Freilicht-Bereich à la dem schweizerischen Ballenberg können wir sehen, wie früher die Unterkünfte der Samen aussahen, wie sie Tierfallen stellten und Nahrungsmittel sicher vor Beutetieren aufbewahrten. Ich begebe mich in einen Nebenraum, wo eine audiovisuelle Darbietung läuft. Die nordische Musik und vor allem der traditionelle samische Joik-Gesang zieht mich in seinen Bann. Ganz alleine im abgedunkelten Raum lausche ich der Sängerin und geniesse die von einer samischen Künstlerin dazu erstellten Bilder – Gänsehautmomente.
Wer Lappland besucht, dem empfehle ich, das traditionelle Gericht Poronkäristys zu probieren. Das dunkelfarbige Rentierfleisch ist eine echte Spezialität und wird üblicherweise mit Kartoffel-Butterpüree serviert und mit Preiselbeeren garniert. Mit einem guten Schluck Wein dazu ist dies für mich ein krönender Tages- und Wanderabschluss. Und… ganz still und heimlich feiere ich für mich meinen 55. Geburtstag. Ganz bewusst habe ich kein grosses Trara darum gemacht. Danke Lappland für diesen wundervollen Tag, den ich für immer in Erinnerung behalte und der sich ganz zuletzt mit der Sichtung von Nordlichtern über Inari abschliesst.