Engadiner Eispalast
März 7, 2024

Verrückte Ideen brauchen verrückte Begleitung –mit Kollege Peter ist das Projekt startklar. Die Wetterfee spielt auch mit – ein Wintertag wie im Bilderbuch ist angesagt. Dieser beginnt mit minus 15 Grad Celsius, als wir nach der Übernachtung im Nebenhaus des Hotel Morteratsch zum Frühstücksraum hinüber gehen. Gestärkt von der reichenhaltigen Auswahl des Frühstücksbuffets geht es rund eine Stunde später mit den Schneeschuhen los.

Für den Hinweg nehmen wir den präparierten Winterwanderweg, der zur kombinierten Nutzung auch mit einer Langlaufspur ausgestattet ist. So früh sind noch wenige Menschen unterwegs, und wir geniessen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht. Peter «drängt» mir Sonnencreme auf – jaja, recht hat er, denn der glitzernde Schnee reflektiert ordentlich.

Das Bergpanorama im weiten Tal ist schlichtweg atemberaubend. Weiss bedeckte Berge, glitzernde Schneekristalle, interessante Tierspuren, ein fast zugeschneiter Bachlauf und vor uns stets der Morteratsch-Gletscher. Aktuell ist er dick zugeschneit und bietet Tourenfahrern eine attraktive «Powder»-Abfahrt. An gewissen Stellen ist das dicke Gletschereis sichtbar. Und so ist denn auch ein diese Saison entstandenes Gletschertunnel unser heutiges Ziel.

Einfach weiter geradeaus und sich dann rechts halten – so lautete eine recherchierte Beschreibung. Wir folgen am Ende des Winterwanderwegs den bereits vorhandenen Spuren im Schnee. Es dauert nicht lange und wir stehen in der Tat vor dem talwärts gerichteten Eingang dieses Gletschertunnel. Wir prüfen zur Sicherheit die Situation, doch es ist ja genügend kalt und das Eisgewölbe erscheint sehr stabil. So betrete ich mit Respekt und Demut gegenüber der Natur dieses einzigartige Kunstwerk aus jahrtausendaltem Eis. Es sind gemischte Gefühle im Wissen, dass dieser an der Gletscherzunge liegende Eistunnel vielleicht den nächsten Winter nicht mehr erlebt.

Das Eis zeigt sich in den unterschiedlichsten Farben und fühlt sich teilweise an wie Glas. Eingeschlossene Steine scheinen zu schweben. Die in solchen Eistunnels entstehenden Muster sind jedes Mal wieder ein unglaublich faszinierendes Schauspiel. Unzählige Eiszapfen, einige Eiskämme, Löcher, Spalten, Wölbungen, … ich kriege nicht genug. Meine Kamera denkt sicher: Die Bettina hat den Zeigefinger wieder ständig am Auslöser, und Peter kennt meinen Fotospleen mittlerweile. Doch dieses vergängliche Kunstwerk möchte ich bildlich festhalten. Und ständig entdecke ich neue Details im gefrorenen Eisbogen.

Etwas weiter hinten ist die Decke des Tunnels unterbrochen. Durch eine Spalte dringt das Sonnenlicht hindurch. Dadurch schillert das kompakte Eis in hellem Blau. Das sieht schlichtweg spektakulär aus. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus… «Kiefer-herunter-häng». Auch mittlerweile drei eingetroffene Skifahrer sind fasziniert. Durch ihre Beschreibungen des Gletschers von der Abfahrtsseite her sind wir ermuntert, mit den Schneeschuhen dennoch weiter aufzusteigen und andere offenliegende Gletscherabschnitte zu suchen.

Wir stapfen weiter durch den Schnee höher. Mukitraining auf rund 2’000 Höhenmetern, und ja, meine infolge Winterfaulheit etwas schwächer gewordenen Beine spüren das schon ein wenig. Auch konditionell merke ich die Anstrengung.

Später entdecken wir einen weiteren Gletscherabbruch, und Peter spurt durch den rund 40 cm tiefen Neuschnee vor. Dann stehen wir vor einer gut 10 Meter hohen Eiswand. Sicherheitscheck und wir treten unter das tonnenschwere, kompakte Eis. Ein «Gletscherwächter» mit «Haifischzahn» bewacht den Zugang. Entlang dieses Abbruchs finde ich etliche spannende Eisskulpturen. An einer Stelle ganz oben streckt ein grosser Steinbrocken seine Nase aus dem Eis. Nun ja, heute fällt der noch nicht runter.

Wir stapfen noch zu einem weiteren, in der Nähe liegenden Abbruch. Unzählige Eiszapfen verzieren diese weiss-grau-türkise Eiswand. Hier begnügen wir uns, das Kunstwerk aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Diese Wand steht direkt zur Sonne und tropft entsprechend. An der steilen Moräne oberhalb brechen ab und zu einzelne Steine los. Dies ist allerdings genügend weit entfernt, sodass wir rein gar nichts zu befürchten haben. Prüfende Blicke gelten hingegen den Eismassen.

Kurz später machen wir uns auf den Rückweg. Der Ausblick in das unendliche Weiss des Tals und der Umgebung ist der Hammer. Als wir zurück sind beim Gletschertunnel zeigt sich, dass mittlerweile doch einige Menschen den Weg hierher gefunden haben. Ich muss einfach nochmals rein in den Eistunnel, während sich Peter mit anderen Besuchern unterhält. Zwischen erneutem Staunen meinerseits klickt die Kamera abermals – gefühlt im Sekundentakt. Hei nomol, da isch eifach gewaltig!

Für den Rückweg nehmen wir den Schneeschuhtrail. Er führt näher zum Bachlauf gelegen angenehm verlaufend zurück zum Hotel und der Bahnstation Morteratsch. Die imposante Berninagruppe haben wir jetzt im Rücken, was nicht heisst, dass ich mich noch zig Mal umdrehe und unter anderem zum Bianco-Grat zurückschaue. Die verschieden grossen Steine innerhalb des Bachs tragen lustige Schneehauben. Sie sehen aus wie gemütliche Polstersessel. Trotz des hier immer noch vorherrschenden Winters spriessen die ersten Weidenkätzchen. Vorsichtig strecken sie ihren pelzigen Kopf aus den feinen Zweigen.

Tja, was soll ich noch sagen? Ein abwechslungsreicher, sonniger Tag mit «knütschblauem» Himmel und einer Reise durch Jahrtausende der Erdgeschichte entlang des Gletscherwegs waren unsere heutigen Begleiter. Danke danke danke, dass ich solch eindrückliche Naturkunstwerke erleben darf.

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