Über Stuel und Stock
Oktober 1, 2023

Es zieht mich in die Engelberger Region. Genauer gesagt, ich fahre nach Wolfenschiessen, von wo mich der Bus nach Oberrickenbach fährt. Für heute müsste das Wetter gut sein, doch Nebel klebt zäh an den Berghängen. Mit der Seilbahn bei der Chrüzhütte angekommen, muss ich die Hoffnung auf Sonne definitiv begraben. Bei diesem dichten Nebel brauche ich gar nicht erst los zu laufen. Etwas frustriert gehe ich erst einmal zum Berggasthaus Urnerstaffel und gönne mir Kaffee und Gipfeli. Mein Gepäck darf ich bereits im Zimmer deponieren, denn ich werde heute hier übernachten.

Zwei Stunden später zieht der Himmel etwas auf. Ich entschliesse mich, zum Chaiserstuel aufzubrechen. Vorbei an Räckholteren bis hoch zum Bannalp Pass läuft ein Wechselspiel von Nebelvorhang auf und zu. Kaum drückt die Sonne durch, erhellt sich auch mein Gemüt. Vielleicht sehe ich ja doch etwas von der Bergwelt. Bis zum Chaiserstuel auf 2’400 Metern wechseln sich Nebel und Sonne weiterhin ab, als würden sie Tischtennis spielen. Der Chaiserstuel zeigt sich als glatte begrünte Fläche, die offenbar auch schon als Helikopterlandeplatz diente. Trotz Wind bleibe ich einen Moment auf dem Gipfel, in der erneuten Hoffnung, dass die Sonne stärker ist als der Nebel. Das Wechselspiel erzeugt immerhin ein Brockengespenst. Ich stehe jedoch etwas zu hoch an der Nebelgrenze, und so zeigt sich mein «Heiligenschein» nur undeutlich.

Ich will trotzdem den weiss-blau-weiss markierten Weg dem Oberalpler Grat entlang folgen. Wettermässig ändert sich nichts – der Nebelvorhang tut sich auf, um sich Sekunden später wieder zu schliessen. Dennoch erkenne ich ein Stück weit die Umgebung und erfreue mich an den Karrenfeldern. Steil und schmal führt der Wanderweg schliesslich hinunter zur Sinsgäuer Schonegg. Das Felsloch im Oberalpler Grat und ein mit Kreuz versehener markanter Gipfel sowie faszinierende Felsformationen kann ich von hier aus bestaunen. Nebelschwaden kommen und gehen weiterhin, geben den Brisen und Hoh Brisen frei und verstecken sie sogleich wieder. Dasselbe Spiel zeigt sich im Tal Richtung Gitschenen.

Über Rinderstafel wandere ich zum Sinsgäuer Buiräbähnli. Wie ich sie liebe, diese Kleinstseilbahnen. Diese führt leider zurück nach Oberrickenbach, doch mein Ziel ist ja der Urnerstaffel. So ziehe ich weiter an der Haghütte vorbei. Hier suhlen sich genüsslich Schweine im Dreck – es scheint ihnen wirklich sau-wohl zu sein. Durch den schönen Bründliwald geht’s weiter, bis ich dann doch froh bin, bei der Chrüzhütte zurück zu sein. Irgendwie zog sich dieser Schlussabschnitt in die Länge.

Nach einem guten Abendessen lege ich mich im Matratzenlager schlafen. Es ist ein grosser Raum mit 30 Betten in drei Lagen. Ein militärisches Matratzenlager eben – ich hab’s für mich alleine.

Ich freue mich auf den neuen Tag, denn wettermässig soll es heute top sein. Tatsächlich darf ich nach dem Erwachen über einem Bergkamm einen eindrücklichen Sonnenstrahlenfächer begutachten. Kurze Zeit später mache ich mich auf den bekannten Walenpfad. Er führt am Bannalpsee vorbei zur Alphütte Oberfeld. Diese ist sehr schmuck gestaltet und lädt zum Verweilen ein. Ich wandere weiter; es ist mir noch zu früh, bereits eine Pause einzulegen. Walegg ist ein prima Aussichtspunkt, wo ich einen Moment hoch über den Felshängen raste. Eine Wandergruppe ist auch gerade hier und lässt über eine mitgebrachte Musikbox Hudigäggeler laufen. Muss das sein, grrr. Menschen können heutzutage wohl kaum mehr einfach die Natur und Stille geniessen.

Eine weitere kleine Enttäuschung folgt sogleich. Der Weg wird breit und ich sehe zwei Kleinbagger, die diesen wohl noch ausbauen. Hallo, muss das nun echt ein kinderwagentauglicher Trampelpfad werden? Meine Stimmung hellt sich kurz später wieder auf, da die Sonne erneut über den Bergkamm kriecht und über den Walenstöcken spannende Lichtstrahlen erzeugt. Das muss ich einfach fotografieren.

Bei der Walenalp versammeln sich viele Menschen. Schnell bin ich im nächsten Waldabschnitt. Erfreulicherweise befinde ich mich wieder auf einem Bergwanderweg. Durch angenehm Schatten gebenden Wald dem Ober Stoffelberg entlang folge ich zur Sädelegg. Mit dem Titlis im Blickfeld geht es noch ein kurzes Stück weiter bis zum Härzlisee bei der Brunnihütte. Eine Sesselbahn führt von Ristis hier hoch. Dass es hier viele Familien und Tagesausflügler hat, war mir klar. Alles ist für die Kinder nett angelegt. Und hier ist auch der Ausgangspunkt für die vielen Klettersteige von Engelberg. Auch für Gleitschirmfliegende scheint hier ein Hot Spot zu sein. Dass ich schnell weiterziehe, um wieder die Ruhe der Natur zu geniessen, brauche ich wohl nicht speziell hervorzuheben. Landschaftlich gefiel mir der Walenpfad recht gut, doch insgesamt hatte ich durch Erzählungen und Beschreibungen mehr erwartet.

Ich nehme ab dem Härzlisee den oberen Wanderweg zu meinem heutigen Ziel, der SAC Rugghubelhütte. Vorbei am magischen Loch (eine Geländemulde, um deren Entstehung sich allerlei Legenden ranken) und dem Tüfelstein (Gruss aus der Schöllenen) geht es nun wieder bergauf. Mein Blick schweift zum Hahnen, dem eigentlichen Engelberger Hausberg. Nun noch den Bärenbach überqueren, der letzte Anstieg und da ist sie: die Rugghubelhütte. In der warmen Nachmittagssonne geniesse ich die Umgebung. Lange begutachte ich meine Gipfelziele von morgen, und Vorfreude durchströmt meinen Körper. Mein Blick geht ins dunkelgraue Griessental, wo sich ein Bächlein seinen Weg sucht. Auch der Griessengletscher war schon grösser, dies zeigt die karge Landschaft deutlich.

Bald ist Zeit für das Abendessen. Währenddessen macht sich die Sonne zum Schlafen bereit. Die Hüttencrew hat Verständnis, dass etliche Gäste zwischen den Essensgängen auf die Terrasse hinaus gehen, um das Farbenspiel der untergehenden Sonne mitzuverfolgen. Auch ich schaue mir das gelb-orange-rote Spektakel von der Terrasse aus an.

An Tag 3 gibt es Gämse zum Frühstück. Ganz in der Nähe der Hütte hält sich ein einzelnes Tier auf, dessen aufmerksamer Blick aus dem wunderschönen, weiss-schwarz gestreiften Gesicht die Umgebung absucht. Ich ziehe kurz später los, den Griesbändern entlang. Mein erstes Zwischenziel ist die Engelberger Lücke, und das erste weiss-blau-weisse Wegstück mit den rauen Felsen gefällt mir.

Die Engelberger Lücke gibt den Blick frei zu den Urner Gipfeln. Ja, lieber Uri Rotstock, du bist nächstes Jahr dran… Nehme ich nun zuerst den Engelberger Rotstock oder den Wissigstock. Aufgrund der Sonneneinstrahlung entscheide ich mich für den Roten. Nach 20 Minuten bin ich auf dem Gipfel (2’818 MüM), den ich ganz für mich alleine geniessen darf. Der einzige Begleiter ist der Wind. Aussicht 100%! Die Kette mit Brisen, Risetenstock, Schwalmis, Oberbauen zum einen, die Urner Gipfel zum anderen und natürlich all die Höcker entlang der «Walenstock-Kette» sowie die «Engelberger» sind eine Augenweide.

Über die Engelberger Lücke schreite ich jetzt zum nächsten Ziel, den Wissigstock auf 2’887 MüM. Geröllig ist der Weg. Doch nach einer halben Stunde bin ich oben. Auch den Gipfel des Wissigstocks darf ich für mich geniessen. Der Blick auf den Schlossfirn, den Blüemlisalpfirn und zum Brunnistock – nochmals 100%! Jetzt ergänzt sich die Aussicht noch ins Surenental und zu den Spannort-Gipfeln. Die Sicht auf die Walenstöcke, Rigidalstock, Sättelistock, Lauchernstock, Ruchstock und Hasenstock ist von hier aus noch schöner.

Der Wind kühlt, ich steige ab. Der Wanderwegweiser zeigt zum Rot Grätli. Nach kurzem Gespräch und Fotoshooting mit netten Herren geht es für mich weiter. Die Herren sagen noch: Man braucht ab und zu lange Beine; für Sie kein Problem. Tatsächlich gibt es die eine oder andere Kletterstelle zwischen dem Schöntaler Firn auf der nördlichen Seite des Engelberger Rotstocks, ein paar namenlosen Zacken, dem Hasenstock und Oberberg. Bei der Engelberger Egg verspeise ich den letzten Proviant. Wie immer sind Bergdohlen rasch zur Stelle, doch mein Menschenproviant ist nichts für sie. Via den Schöntaler Moränen stehe ich bald darauf wieder auf dem Bannalp Pass / Schoneggeli – heute allerdings bei prächtigem Sonnenschein. Ganz anderer Eindruck.

Nun aber «Hü» – ich marschiere an Räckholteren und am markanten Bietstöck vorbei zur Chrüzhütte. Das blaue Bähnli bringt mich zurück nach Oberrickenbach – mein dreitägiger Ausflug schliesst sich am Ausgangspunkt von vorgestern ab. Die Kantone Obwalden und Nidwalden zu durchwandern und auf der Grenze zum Kanton Uri zu tanzen haben mir ein weiteres unvergessliches Bergerlebnis beschert.

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