Bezaubernde Alpsteinmagie
September 16, 2023

Was schenke ich mir zum Geburtstag? Zig Ideen gingen mir durch den Kopf, doch das Wetter muss mitspielen für meine Vorhaben. Schliesslich sieht es wettermässig im Nordosten für ein paar Tage am beständigsten aus und ich fahre nach Wildhaus.

Der Starttag verläuft ziemlich neblig, obwohl die Prognose mehr Sonnenschein versprach. Ich begehe das mystische Flürentobel und überwinde die ersten Höhenmeter. Über die Teselalp wandere ich weiter durch eine einheitsgraue Landschaft – sprich eben diese sehe ich nur jeweils kurz, wenn sich ein paar Nebelschwaden lichten, um gleich darauf das Fenster in die Bergwelt wieder zu verschliessen. Es geht stetig aufwärts, der Alp Grueb entgegen. Der Alphirt erledigt noch die letzten Arbeiten der Saison. Er meint, ich hätte mir einen wunderbaren Tag zum Wandern ausgesucht. Nun ja, es ist wie es ist. Nach einem angenehmen Gespräch ziehe ich weiter. Der Nebel lichtet sich etwas mehr, sodass ich tatsächlich immer mehr von den mich links und rechts begleitenden Felsbändern sehe. Schliesslich stehe ich auf dem Mutschensattel und der Gipfel ist in Greifnähe. Leider legt der Nebel sein Gewand um den 2’122 Meter hohen Mutschen und ich sehe weder die Kreuzberge noch ins Rheintal hinunter. Ganz kurz ein Hoffnungsschimmer – dann ist wieder alles grau in grau. Über die Roslenalp und Saxerlücke wandere ich zur Berggasthaus Bollenwees, wo ich die erste Nacht bleibe. Zimmer 12 habe ich ganz für mich alleine und geniesse ein feines Abendessen.

Tags darauf – die Sonne beleuchtet die ersten Bergspitzen rund um den dunklen Fählensee – habe ich bereits früh die Wanderschuhe an. Es geht dem See entlang zur Fählenalp. Sukzessive steigt die Sonne höher und der Schatten an den Felswänden tiefer. Bei einer weiteren Hütte bei Punkt 1740 habe ich einen wunderbaren Ausblick zu den Fählentürmen, dem Roslenfirst und dem Fählensee. Ich bin alleine unterwegs und geniesse die Stille. Das Vieh ist schon längst wieder im Tal, und unter der Woche gibt es tatsächlich ruhige Ecken im Alpstein. Die warme Sonne schmeichelt mir ums Gesicht, während ich über immer steiniger werdendes Gelände weiter ansteige. Ich liebe diese raue und teils karstige Bergwelt. Dazwischen liegen grasige Hänge, und als mein Blick zum Horizont schweift, thront genau dort ein einzelner Steinbock. Er mustert mich, während er zufrieden seine Gräser kaut.

Der imposante Altmann türmt sich inzwischen mächtig vor mir auf. Ich höre Stimmen und entdecke an einem Felsaufschwung zwei Alpinkletterer. Ich bleibe auf dem regulären Wanderweg, der im Schlussanstieg zum Altmannsattel noch einem seilgesicherten Felsband folgt. Ich komme in diesem Streckenabschnitt kaum voran… der Steinbock geniesst noch immer seinen Aussichtsplatz, der Blick zurück offenbart immer andere Perspektiven auf die steilen Felstürme, der Altmann beeindruckt mich so oder so, und – nun ja, schliesslich erreiche ich den Übergang und muss schon wieder stehen bleiben. Der Blick auf den Nädligergrat und weiter ist einfach beeindruckend. Ist mir unverständlich, wie manche im Eilzugstempo an diesen Bergwundern vorbeirennen können.

Altmann ja / nein? Ich ziehe dem Altmannkamm entlang weiter zum Fliskopf, wo ich auf ein Mutter/Tochter-Duo aus Deutschland treffe, die ich gestern schon gekreuzt habe. Wir finden im Gespräch heraus, dass sie für heute auch das Berggasthaus Alter Säntis als Übernachtungsziel haben. Mir gefällt der Abstieg zum Rotsteinpass: Schön felsig, teils ausgesetzt und doch stets gut gesichert ist der steinige Pfad zwischen Fliswand und dem Rotstein. Geplant ist eine längere Pause auf der Terrasse des Berggasthauses Rotsteinpass. Doch bereits zieht wieder Nebel von Westen her auf und bewegt sich zügig in die Höhen. Tja, vom Lisengrat will ich ja schon was haben, deshalb ziehe ich weiter.

Der vielseitig diskutierte Lisengrat – ist er nun so spektakulär? Ist der Weg tatsächlich so dramatisch? Kurz, mich begeistert der felskantige Grat, der doch mit einigen coolen, ausgesetzten Stellen überrascht. Ich geniesse die Begehung, denn durch die Seilsicherungen ist er doch ziemlich «entschärft». Mich fasziniert mehr, wie er angelegt wurde. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die meist in freiwilliger Arbeit solche Wegabschnitte sichern und instandhalten.

Heute gönne ich mir eine warme Dusche. Der Nebel kühlt den Körper doch ganz schön aus. In den folgenden Stunden reiht sich ein Höhepunkt an den anderen. Ein leckeres Abendessen mit köstlichem Wein, das kurzweilige Farbenspiel durch die stetig tiefer sinkende Sonne, der kräftig leuchtende Regenbogen über dem Altmann und schliesslich auf dem Säntisgipfel ein luftiger aber genialer Sonnenuntergang. Trotz anderer Menschen geniesse ich all diese Zeit intensiv für mich selbst – meine ganz eigene Geburtstagsparty 🙂 Seit dem Aufstehen bis zum zu Bett gehen – auch heute in Zimmer Nummer 12 – ist es ein rundum perfekter Tag, mein Tag.

Tag 3: Die Vorfreude auf die heutige Tour lässt mich früh erwachen und mit einem leckeren Frühstück starte ich in den Tag. Kurze Zeit später ist der Rucksack fertig gepackt und zum Warmlaufen gönne ich mir die Himmelsleiter. Es pfeift mir ein frischer Wind um die Ohren, doch mein Fokus ist auf dem bezaubernden Morgenlicht. Die ersten Fotos müssen sein… Im Abschnitt zwischen Himmelsleiter und Tierwis entdecke ich vier Steinböcke, die ich sicher etwa zwanzig Minuten lang beobachte. Sie lassen sich durch die frühen Wandernden nicht stören. Schliesslich ziehe ich weiter, denn es ist mir nun doch noch zu frisch im Schatten. Entlang der quer verlaufenden Felspartie nach der 2. Seilbahnstütze sind viele kleine Versteinerungen zu sehen. Es sieht für mich vor allem nach Muscheln aus. Karrenrinnen und -löcher wechseln sich ab mit wenigen grasigen Flanken. Kurze Zeit später bin ich beim Berggasthaus Tierwis. Och, schon wieder so viele Menschen! In diesem Fall doch keine Kaffeepause. Gleich geht’s weiter und meine Freude steigt. Hauptziel ist heute ein besonderer Gipfel im Alpstein, der Silberplatten. Der Wanderweg führt am Grenzchopf und Grüehorn entlang zum Gipfel mit seinem silbrigen Haupt. Leicht finde ich den normalen, nur noch sehr schwach markierten Aufstiegspfad über und entlang der dicken, kompakten, weissen Karst-Felsplatte – nomen est omen. Auf dem Gipfel angelangt hängen meine Augen an den zerfurchten Silberköpfen. Die Geologie im Alpstein haut mich immer wieder um. Klick, klick, klick und schon wieder zig neue Fotos im Kasten. Zudem geniesse ich es, seit der Tierwis wieder alleine unterwegs zu sein. Den Silberplatten habe ich ganz für mich alleine – herrlich.

Einige Murmeltiere ergreifen rasch die Flucht, als ich Störenfried ihr Reich durchkreuze. Neugierig sind sie ja dann doch und strecken kurz darauf wieder ihre Köpfe hervor. Mittlerweile ist «Blockfelshüpfen» angesagt. Der Weg um den Silberplatten und die Silberköpfe herum ist ziemlich «rough». Nach kurzem Anstieg erreiche ich den Stosssattel. Kurze Unachtsamkeit bei einem Stacheldrahtzaun und die leicht blutende Erinnerung ist in die Haut geritzt. Nun ist der Blick beim Wandern in Richtung Gams-Chopf, Lütispitz und der Lütisalp gerichtet. Bei der Lauchwis zweige ich ab hinunter zur Alp Schrenit. Der Älpler ist unterwegs, und so gibt es auch hier keinen Trinkstopp. Dennoch picknicke ich in einer Wiese und lasse den Gams- und Schwarzchopf auf mich wirken. Einige Insekten summen mir ihr Lied ins Ohr.

Erste Stimmen höre ich erst im weiteren Abstieg. Der Weg führt an ein paar Kletterfelsen vorbei. Loses Geröll machen das Gehen schwerer, hingegen geniesse ich den Schatten der Gebüsche. Ich nähere mich Laui und hier gönne ich mir ein kühles, die trockene Kehle erfrischendes Rivella, obwohl es mir hier an diesem gut besuchten und mit Auto erreichbaren Familienplatz bereits wieder zu laut ist.

Leider folgt nun eine asphaltierte Strasse bis nach Unterwasser. Ich zweige noch zum Wasserfall der Säntis-Thur im Chämmerlitobel ab, wo ich auf eine Kollegin aus meiner Heimatstadt treffe. Das übliche: Hoi, was machst du denn hier? Grins! Obwohl ich schon am oberen trockenen Bachlauf sehe, dass wohl kein Wasser die Felswände hinunter tost, gehe ich trotzdem den Pfad nach hinten. Wie vermutet – nix los, staubtrocken. Ich finde es dennoch interessant zu sehen, wie tief das Becken ist. Entlang des Weges nach Unterwasser zieren zahlreiche Herbstzeitlosen in ihrem zarten Violett die grüne Wiese. Bei der kleinen Brücke spricht mich ein Mann in einer Mischung von Aufregung und Ernüchterung an: Fliesst Wasser? Leider nein, muss ich ihn enttäuschen. Er hätte mit dem Fahrrad extra eine recht weite Strecke auf sich genommen, um den Wasserfall zu sehen.

Bis der Bus nach Alt Sankt Johann fährt, kühle ich noch einmal meine Kehle, dieses Mal mit einem Iced Coffee. In diesem schmucken Toggenburger Dorf habe ich mein Zimmer für heute gebucht. Dieses liebevoll eingerichtete Bed and Breakfast stellt sich als Volltreffer heraus, und ich komme gerne mal wieder als Gast in den Zimtstern und geniesse das Makrönli-Zimmer. Ja, ich komme so oder so wieder in diese schöne Gegend, vermutlich noch mehrere Male. Für den Moment, bye bye Alpstein und Danke für die drei wunderbaren, erlebnisreichen und emotional erfüllenden Tage rund um mein Wiegenfest.

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