Bis kurz vor Reiseantritt spekulierten wir über die Wetterverhältnisse. Soll die ursprüngliche Route beibehalten oder gekürzt werden. Muss die 3-Tages-Wanderung gar abgesagt werden? Schlussendlich bleiben alle sechs Teilnehmenden dabei und wir fahren gemeinsam ab Meiringen mit dem Postauto in die Rosenlaui. Ich habe mich schon über ein halbes Jahr auf dieses Wochenende gefreut, welches Organisatorin Agnes über GE ausschrieb.
Wir starten mit der Begehung der Gletscherschlucht Rosenlaui. Sie ist immer wieder eindrücklich, selbst wenn man sie schon zig Mal gesehen hat. Dieses Mal führt mich der Weg bei den Steinmannli jedoch nicht zum Parkplatz zurück, sondern wir gehen den Pfad weiter bergwärts. Mein erster Fotostop folgt bald, denn ich entdecke die eher seltene schwärzliche Orchis. Als Wildorchideen-Fan muss ich diese bildlich festhalten. Bald kommt die Abzweigung zur Engelhorn- bzw. Dossenhütte. Wir folgen dem blauweissen Wegweiser. Anfangs ist der Bergwanderweg noch einfach und führt zwischen dem Wald hoch. Bald ist die Baumgrenze erreicht und es geht imposant über in Schotter und Fels. Ein Stück des Weges führt uns entlang und auf der Gletschermoräne weiter nach oben. Mir gefällt die Gletscherlandschaft ausserordentlich gut. Überall plätschert das Wasser über Felsstufen, welche wir bald schon auch kletternd entlang von Seilsicherungen und mittels Leitern überwinden. Zu meiner Beruhigung sind noch zwei weitere Frauen dabei, die alles um sich herum gerne ablichten. Dies allerdings weniger zur Begeisterung der anderen drei Mitwandernden, da sie für ihren Geschmack zu oft warten dürfen.
Nach den ersten grösseren Felsstufen folgt unterhalb dem Rosenlauibiwak ein flaches, begrüntes Stück Erde, wo wir rasten und picknicken. Gemäss Agnes würden wir die neue Kraft und Energie für den letzten Teil des Weges gut brauchen können. In Eile sind wir grundsätzlich nicht, denn für den rund vier Stunden dauernden, steilen und ausgesetzten Aufstieg über 1’300 Höhenmeter haben wir ja den ganzen Tag zur Verfügung.
Jetzt folgt das anspruchsvolle T4-Wegstück. Wir sehen beim Hinaufblicken nur noch Felsen. Wo geht da wohl der Weg durch? Die Hütte können wir bereits erblicken. Was nun folgt, macht einfach Spass und lässt mich die Zeit vergessen. Nur schon auch, weil die Konzentration auf dem Weg und der Trittwahl bleiben muss. Zwischen Felsblöcken suchen wir die nächste Farbmarkierung, halten Ausschau nach weiteren Seilsicherungen, platzieren unsere Füsse sorgfältig auf schmalen und teils nur fussbreiten Felsvorsprüngen. Im Stehen blicke ich immer wieder hinauf und hinunter. Tja, geht teilweise schon ganz ausgesetzt zu und her hier. Die Felsvorsprünge und schmalen Grate bieten jedoch fantastische Fotospots, so auch das Gstellihorn.
Angekommen auf der Terrasse der Dossenhütte blicke ich erfüllt und zufrieden zum Gletscher hinüber. Wir werden von einem aufgestellten Hüttenteam begrüsst und der selbstgebackene Kuchen schmeckt lecker. Bis zum Abendessen bleibt genügend Zeit zum Plaudern und die Sonne auf der Haut zu spüren. Es ist einfach 1A hier oben. Das Panorama haut mich einmal mehr um. Später diskutieren wir noch über die weitere Streckenplanung, denn das Wetter soll tags darauf deutlich unbeständiger sein. Wir wollen möglichst trockene Abschnitte treffen. Zum Tagesausklang spielen wir Karten, irgendwas mit Ochsen – habe den richtigen Namen vergessen.
Nach einer ziemlich unruhigen Nacht – da ausschliesslich Massenlager – sind wir sehr früh auf den Beinen. Sprich, wir wandern um 7 Uhr los. Der Plan geht vorerst auf, denn wir können das schwierigste Stück des Abstiegs über den Fleschen im Trockenen hinter uns bringen. Nochmals einige Felskraxeleien, dann sind wir wieder in einer Höhenlage, wo uns die wilde Bergflora umgibt. Wir sind im Enzen unterwegs. Regenkleidung wird angezogen, denn die Wetterprognose meint es in der Realität anders. Petrus öffnet den Wasserhahn schon früher als angezeigt. Wir streifen durch sattes Grün bis wir die nächste Hauptverzweigung erreichen.
Nach kurzer Snackpause ziehen wir weiter. Der Nebel wird dichter und wird uns die nächsten knapp drei Stunden ständig begleiten. Alles ist nur noch nass und klamm resp. zur Saunazone geworden unter der wirklich wasserdichten Regenjacke. Auf Anraten von mehreren Leuten nehmen wir statt einer Wegumleitung eben nicht die Umleitung, sondern gehen durch das eigentlich gesperrte Gebiet. Die ursprüngliche Gefahr durch Felsabbrüche ist aktuell klein, und die Alternative sei wirklich ein Schlammbad. Diesem Tipp folgen übrigens praktische alle Wandernden auf dem Weg in die Gaulihütte. Einmal haben wir noch das Glück, dass der Nebel etwas aufreisst, sodass wir einen ersten Blick auf den Mattenalpsee erhaschen können. Bei der SAC-Hütte angekommen, sind wir froh, all das Nassklamme ausziehen zu können. Bald wird es gemütlicher. Wir haben einen Gruppenraum für uns alleine.
Tja, und kaum haben wir uns alle umgezogen, kommt die Sonne hervor und schenkt uns noch gute zwei Stunden ihrer Wärme. Wir machen es uns auf der Hüttenterrasse bequem und laden unsere Batterien auf mit feiner Rösti, Suppe und der Sonne. Der Hüttenwart grinst nur, als wir ihn wegen dem Wetter ansprechen. Er meint nur, diesen Sommer könne man nicht auf die Prognose zählen. Es sei oft anders als angekündigt. So auch heute. Eigentlich wollten wir vor dem Regen in der Hütte ankommen, doch der nasse und trockene Teil haben einfach so ihre Position gewechselt. Nicht viel später regnet es dann schon wieder. Und so diskutieren wir beim Abendessen erneut, welchen Weg wir morgen zum Abstieg nehmen. Agnes hat vorgesehen, über den Wasserfallweg zu gehen. Wir entscheiden uns schliesslich dagegen, denn dafür müsste es schon mindestens mal einen halben Tag wirklich abtrocknen können. Vor dem Zubettgehen spielen wir wieder mit den Ochsen. Meine Strategie geht nicht immer auf und so werde ich oft rasch zur grössten Ochsenbesitzerin. Ja in gewissen Ländern ist die Anzahl der Tiere ein Zeichen für Wohlstand 😉
Der Morgen des dritten Tags zeigt sich von der nassen Seite. Nun stirbt die letzte Hoffnung, doch noch den Wasserfallweg begehen zu können. Wir sind vernünftig und verzichten auf diesen nochmals kraxligen Teil. Bis um etwa 9 Uhr warten wir in der Hütte. Petrus will unbedingt nochmals allen Staub in der Gegend abspritzen. Bis hinunter zum Mattenalpsee bleibt es kühl und nass. Immerhin hat es zu regnen aufgehört. Der türkisfarbene Stausee ist ein cooler Kontrast zu den grauen Bergen.
Der Weg durch die alpine Wildnis zurück bis ins Urbachtal zieht sich gefühlt etwas in die Länge. Wir kommen erneut am Wegpunkt Schrätteren vorbei, halten uns dieses Mal jedoch rechts und gehen über die Bachbrücke. Mittlerweile ist es sonnig geworden und wir entdecken weit oben die Dossenhütte, wie sie wie ein Adlerhorst über den Felsen thront. Es ist eindrücklich, von hier aus zu sehen, wo wir gestern hinuntergeklettert/-gewandert sind. Der freie Blick gibt heute einen ganz anderen Eindruck.
Je näher wir dem Ürbachtal kommen, umso flacher wird der Wanderweg und die Umgebung wechselt wieder zu Wald und Feriendomizilen. Linkerhand ist das grüne Tal vom Gebirgsmassiv der Engelhörner begrenzt. Steil ragen die grauen Felsen in den Himmel. Ab Mürvorsess hat Agnes ein Alpentaxi bestellt. Klar hätten wir noch eine Stunde zusätzlich wandern können, doch dieser Teil bis Innertkirchen ist mit asphaltiertem Fahrweg und noch einem Steilstück durch den Wald wenig attraktiv. Der Fahrer meint dann auch, dass gute 90 Prozent aller Wandernden das Alpentaxi nehmen würden. Herrlich, er hat eine Kühlbox dabei und wir verbrauchen seinen Biervorrat. Glücklich zurück in Meiringen machen wir noch einen Essensstop, bevor alle individuell nach Hause zurückkehren. Ich darf bis in die Region Winterthur mit Judith in ihrem Auto fahren. Eines meiner Wanderwunschziele, der Dossen-Gauli Trek, ist absolviert und darf nun in Bildern und vor allem in Erinnerung weiterleben.
In der Gaulihütte kann man übrigens Utensilien vom Flugzeugabsturz am Gauligletscher begutachten. Spannendes zum Absturz der Dakota erfährst du unter den Weblinks. Beide aufgerufen im August 2023.
https://stories.jungfrauregion.swiss/de/das-gauligletscher-drama-taut-wieder-auf