Grau, teils spitzig und scharfkantig sind sie, und manchmal durchlöchert wie ein Emmentalerkäse. Ich spreche von Karstlandschaften mit verschieden grossen Reliefformen. Sie entstehen durch Verwitterung von Kalk-, Sand- und Gipsgestein. Weil Kalk ein gut lösliches Gestein ist, wird es vom Regen- und Schmelzwasser zersetzt. Dadurch entstehen die typischen Karstformen. Kleinformen des Karstes im Meterbereich werden Karren genannt. Durch eine solche Landschaft soll die heutige Wanderung führen – die Schratteflue im Kanton Luzern.
Am Vorabend reise ich zu meiner Freundin in Lungern, wo ich einmal mehr für die Nacht Gast sein darf. So reduziert sich die Anfahrt am Wandertag selbst auf gut eine Stunde. Unser Ziel ist die Alp Schlund, die unterhalb der Schratteflue liegt. Sie ist ein idealer Ausgangspunkt für alle Wanderfreaks, die weniger lang über Alpwiesen gehen möchten, sondern rascher im teils messerscharfen Karstgelände unterwegs sein wollen. Wir passieren auf dem Weg sowohl sehr grässliche wie auch sehr schöne Ferienhäuser.
Der Weg ist bis zur Chlushütte so breit und gut, dass Romy meint, da hätten wir mit ihrem Jeep auch noch hinauffahren können. Wir geniessen diesen ersten Teil trotz schon drückender Hitze. Kurze Pause und wir schlagen die weiss-blau-weisse Route ein, welche uns steil zum Schibegütsch hochführt. In der oberen Hälfte des Pfads gelangen wir zu einem alten Militärstollen. In einer Höhle sind heute noch die Metallgitter der Feldbetten zu sehen. Die Energie hier ist irgendwie gruselig. Wir sind schnell wieder draussen. Weiter geht es über drei ziemlich steile Leitern durch ein Felsloch. Die letzte Leiter liegt fast im Dunkeln und hat grosse und unregelmässige Trittstufen. Vorsichtig erklimmen wir sie, bis von oben wieder Licht einfällt. Nun ist der Gipfel zum Greifen nah. Die Aussicht über den gesamten Brienzergrat, Hohgant und ins Entlebuch ist phänomenal. Sörenberg liegt weit unter uns. Und die zirka ein Jahr zurückliegenden Unwetterschäden rund um den Kemmeriboden sind noch immer gut zu sehen.
Der nächste markante Wegpunkt ist das Türstehäuptli mit einem grossen, ovalen Felsen, der lustig vom Rest der Felsmasse absticht. Wie eine Warze, schiesst mir durch den Kopf. Der Weg über den Grat verläuft angenehm durch Gras und weist hier nur teilweise Karst auf. Das grosse Karrenband verläuft etwas weiter unterhalb. Mich begeistern diese Einschnitte, Löcher und zerzausten Felsbänder. Aufmerksamkeit ist angezeigt, denn diese Art Fels ist meist sehr spitz und scharfkantig. Deshalb habe ich für die heutige Tour die hohen Bergschuhe angezogen. Ich ahnte zwar, dass meine Füsse bis zum Schluss wenig Freude haben würden. Die Schuhe dünkten mich letztes Jahr schon zu knapp – dennoch liess ich neue Sohlen aufziehen. Fehlentscheid, wie sich noch weisen wird…
Nächster Gipfel – der Hängst. Auch hier machen wir eine kurze Rast und geniessen das 360 Grad-Panorama. Steil fällt der kalkige Gebirgszug nach Westen ab. Bis hierher war unsere Tour ursprünglich geplant. Die noch verfügbare Zeit und unser Ego, dass wir doch möglichst die ganze Schratteflue überqueren wollen, lässt uns weiterwandern in Richtung Heideloch und Heftiboden. Dieser Wegteil weist mehr Karst auf, und in teils Felsritzen liegt noch Restschnee. Wir sehen nochmals eine kleine Höhle mit alten Militärutensilien. Je länger wir gehen, desto mehr tun mir die Füsse weh. Aaargh, diese Wanderschuhe ziehe ich sicher für keine zukünftigen Touren mehr an.
Die gezackte Felssilhouette der Hächlezänd sieht witzig aus. Hier, auf der Höhe des Gipfels Turm, wenden wir uns allerdings wieder talwärts zu. Der Weg führt uns teilweise steil hinunter. Tja, die aufwärts begangenen Höhenmeter müssen wir auch wieder runter. Über die Alpen Bodehütte und Silwänge kehren wir über Weiden und durch Wald zurück zur Alp Schlund. Kaum sind alle Wanderutensilien im Auto verstaut, beginnt es zu regnen. Perfektes Timing! Und ich bin froh, meine Wanderschuhe aufzuschnüren. Ich frage mich ernsthaft, wie ich damit letztes Jahr noch so viel gewandert bin. Meine Füsse haben sich wohl durch das mittlerweile fast ausschliessliche Gehen in Barfussschuhen wirklich verändert.
Geplant war zum Abschluss noch ein kühler Drink auf einer Sonnenterrasse. Es wäre mittlerweile die Regenterrasse, doch es ist eher der schnelle Temperaturabfall, der uns diesen Plan streichen lässt. Meine Begleiterin ist so lieb und fährt mich nach Sachseln, wo ich mich noch mit einer befreundeten Familie treffe. Nach einer wunderschönen Wanderung werde ich kulinarisch verwöhnt und darf meine müden Glieder schon bald ausstrecken. Tags darauf verabschiede ich mich nach einem leckeren Frühstück und anregenden Gesprächen. Doch schon bald unterbreche ich die Zugfahrt, um in einem Sportgeschäft neue Wanderschuhe zu kaufen. Ich entscheide mich für ein extra weites Modell, sodass sich meine Füsse wieder wie auf Wolke 7 fühlen.
Unter diesem Link https://geohilfe.de/physische-geographie/geomorphologie/karst/ (aufgerufen am 11.07.2023) erfährst du noch mehr über Karst.