Sfida Ticinese
September 10, 2022

„Da können wir noch etwas alpin gehen“, so der Wortlaut von Wanderkollege Peter während der Planung. Cool, da bin ich dabei! Ich freue mich immer, wenn jemand auch weiss-blau-weiss-fit ist. Ich recherchiere ergänzend ein wenig und entdecke, dass es auf dieser Route eine T6-Kletterpassage hat. Vertiefende Abklärungen ergeben: Seilgesichert, tendenziell eher T5 und machbar. Noch ein paar Abstimmungen, und die Tour ist gesetzt und die SAC-Hütte Cristallina gebucht.

Soweit zur Vorgeschichte, genauer zur 2. Version. Denn ursprünglich wollten wir den Kanton Uri unsicher machen, planten jedoch wetterbedingt um. Am Abreisetag bringt uns Zug und Bus ins Bedrettotal. Im Abteil sitzt noch ein junges Paar – sie sprechen uns zuerst mit Sie an… Ups, sehen wir schon vor der Wanderung so alt aus?! Der Zug nach Airolo hat aufgrund eines medizinischen Zwischenfalls Verspätung, doch der freundliche Busfahrer wartet.

In All’Acqua geht’s los. Gleich zum Start begegnet uns ein Jäger. Wir wandern die ersten Höhenmeter aufwärts, bis wir auf einem Bödeli eine erste Pause machen. Bei der Kapelle San Giacomo – auf einer grösseren Anhöhe – zieht Peter einen kühlen Kaffee aus dem Rucksack. Was er wohl noch so in seinem Gepäck hat? Zwischendurch ertönen Schüsse, die Jagdsaison ist im Gange.

Nun beginnt der alpine Teil. Es wird sogleich anstrengend über grösseren Blockfels balancierend, und dann erklimmen wir einer Bergflanke entlang den rund 2700 Meter hohen Passo Grandinagia. Die ersten 1000 Höhenmeter sind geschafft; wir auch schon ein wenig. Kurze Pause unterwegs, wo ich eine schon recht weiche Tomate verspeise und somit beim Anbeissen fast mehr auf den Boden verteile. Tja, ich will eben für die Tiere noch etwas da lassen.

Freundlicherweise geht’s nun leicht abwärts, wo wir – auf einem Bödeli – einen grossen Felsbrocken entdecken, der sich perfekt als Liegesofa nutzen lässt. Lange währt die Rast allerdings nicht, denn es liegt noch viel und anstrengender Weg vor uns, und die knackige T6-Passage wartet ja auch noch. Etwas weiter – beim nächsten Bödeli – gibt es erste Sicht auf den türkis leuchtenden Stausee Lago dei Cavagnöö und Steingeissen mit ihren Jungtieren. Putzmunter springen sie über das Gestein. Unsere Kräfte lassen hingegen langsam nach und das schwierigste Stück liegt noch vor uns. Immer wieder spähen wir zur linken Bergflanke und hoffen, endlich den Einstieg in den Canale del Becco zu finden. Dann stehen wir vor ihr, der spektakulären Schlüsselpassage. Sicherheitshalber ziehen wir die Klettersteigsets an. Die Verankerungen der Stahlseile sind deutlich zu weit auseinander, als dass sie ein sicheres Auffangen hätten gewährleisten können. Doch ab und zu mit Karabiner einhängen passt schon, um zu verschnaufen und gesichert Fotos machen zu können. Nach zirka 20 Minuten Klettern sind wir oben. Puh, geschafft – high five, umärmel… Wir sehnen uns die Capanna herbei, doch es geht weiter leicht auf und ab. Schliesslich erreichen wir die Unterkunft eine halbe Stunde vor dem Abendessen. Wir sind beide „uf dä Schnurrä“. Trotz allem sind wir stolz, es dem Canale del Becco gezeigt zu haben, yep! Wie war das nochmals mit etwas alpiner Strecke?! Total 6,5 Stunden reine Gehzeit, etwa 1600 Höhenmeter inkl. Blockstein-Hüpfen und Fels-Kraxeln sowie die letzten rund 45, sich ziehenden Minuten mit Dauersicht auf die Hütte. Im Kopfkino läuft „Wann sind wir endlich da?“. Ach ja, dazwischen streckt uns ein voll chillender Steinbock sein schmuckes Hinterteil entgegen und dreht nicht mal gross den gehörnten Kopf, als wir doch recht nah an ihm vorbeigehen.

Die Begegnungen in der Hütte sind amüsant. Wir sind am Tisch 2 zugeteilt mit zwei Wallisern aus dem schönsten Dorf in Westeuropa und einer Wandergruppe mit Alpha-Leitdame. Dass im Schlafraum das Fenster nachts offen bleibt, haben wir dann durchgesetzt 😉

Tags darauf der gemütliche Abstieg vom Passo Cristallina durch das Val Torta zur Alpe di Cristallina. Die Luftfeuchtigkeit am gegenüberliegenden Bergzug zaubert einen schönen Regenbogen über das Tal. Dort ist Ossasco unser Endziel.

Fazit: Es war anstrengend, herausfordernd, abwechslungsreich, unterhaltsam, gemütlich –eine unikale Tour. Danke Peter, und gerne wieder einmal, so ein bisschen alpin 😉

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