Die Wettervorhersage ist gut – ich entscheide mich für den Pilatus, genauer den Heitertannliweg. In Kriens nehme ich die Gondelbahn bis Fräkmüntegg. Ich bin mit einer älteren, munteren Dame in der Gondel. Sie ist mir sympathisch, denn als erstes fragt sie, ob es ok sei, unsere Fahrt ohne Maske zu geniessen. Geht klar! Im Gespräch lerne ich Lokal-Slang – bin also nach Fräki und zum Pili unterwegs, grins. Die aufgeweckte 83-Jährige erzählt mir bildhaft von ihrem Leben, vor allem ihren vielen und auch besonderen Wander- und Bergtouren. Kurz gesagt, sie war schon fast überall; mit Bergführer auch am Eiger oder dem Biancograt des Piz Bernina. Ich bin beeindruckt von dieser vifen, lebensfrohen Dame.
Auf der Fräkmüntegg empfängt mich ein Aktivitäten-Halligalli. Ich gehe deshalb direkt los zum Heitertannliweg an der Nord-West-Flanke des Pilatus. Das erste Stück gilt dem Warmlaufen, dann geht’s stetig aufwärts und wird stellenweise anspruchsvoller. Infolge dieses „Regensommers“ sind ein paar Stellen rutschig; die einzelnen Schritte wollen wohl gewählt sein. Manch prekäre Stelle ist gesichert, doch insgesamt ist der Weg gut machbar, sofern man nicht zum ersten Mal eine Bergwanderung macht.
Der Wettergott ist heute in Nebelstimmung und zaubert immer dichteres Grau aus seinem Ärmel. Meine Haare werden ausnahmsweise mal nicht durchs Schwitzen nass, sondern vom feuchten Nebel. Ein letzter Blick auch zum Chastelendossen, doch bald ist nix mehr mit Aussicht – ich schaue nur noch in eine Nebelwand. Tja, umkehren kommt nicht in Frage.
Schliesslich erreiche ich die neugotische Klimsenkapelle, die mich auf Bildern schon immer beeindruckte. Nicht das Gebäude, nein die Lage nahe am Abgrund. Sollte ich je einmal heiraten, wäre das hier eine Option… Nun, den Abgrund kann ich nur erahnen, denn der Nebel ist hier oben noch dichter. Dennoch entscheide ich mich, die letzten Meter auf das Klimsenhorn (1‘907 m.ü.M.) unter die Füsse zu nehmen. Im 360 Grad Nebelpanorama sehe ich ausser dem Gipfelkreuz natürlich nichts. Nun ja, mystische Nebelbilder hat auch nicht jeder, LOL!
Die nächsten 40 Minuten hoch zu Pilatus Kulm auf 2‘132 Metern über Meer widme ich der alpinen Blumenwelt. Mehr als ein paar Meter weit sehe ich ja eh nicht. Und dann: Touristische Zivilisation! Die meisten Besucher haben sich der steilsten Zahnradbahn der Welt mit einer maximalen Steigung von 48 Prozent bedient. Ich weiche der internationalen Menschenmenge gleich aus und nehme die letzten Meter zum Esel. Und siehe da, plötzlich reisst der Nebel auf und zeigt für ein paar Sekunden Teile des Bergmassivs. Entsprechend freudige Laute entspringen einigen Mündern.
Nachdem sich ein Teil meines Proviants vom Rucksack in meinen Magen verschoben hat, entscheide ich mich, in Richtung Tomlishorn (2‘128 m.ü.M.) zu gehen. Entlang dieses Touristenpfads gibt es erneut ein paar schöne Weitblicke durch den kurz aufreissenden Nebel. Und dann: Steinböcke! Es sind Muttertiere mit ihren Jungen. Wir Zweibeiner interessieren sie nicht wirklich, doch meinerseits ist die Freude gross.
Trotzdem zufrieden reise ich heimwärts und treffe im Zug auf weitere interessante und künstlerisch talentierte Menschen.
«Hat der Pilatus einen Hut, bleibt im Land das Wetter gut. Hat er einen Nebelkragen, darf man eine Tour wohl wagen. Trägt er aber einen Degen (lange Wolkenfahne), bringt er uns gewiss bald Regen.»